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Naturgeister in der Höhle

Ein Erlebnis

Sterben und Wiedergeboren werden ist letztlich der Kern aller Initiationen. Altes loslassen, sich reinigen und öffnen um Raum zu schaffen für Neues.
Wir gehen in die Höhle, in die Gebärmutter der grossen Lebensspenderin. Feuchtigkeit und Kälte zehren an uns - zwingen uns ängstliches Bangen um uns loszulassen, uns ganz hinzugeben, fallenzulassen, zu sterben.
Plötzlich kommt die Wärme, die kalte Höhle wird zu einem Raum der Geborgenheit und wir treten als neue Wesen hinaus in eine neue Welt voller Möglichkeiten und Farben.

Im Mai 98 fand in der Nordwestschweiz ein sehr spezielles schamanisches Arbeitsseminar statt. Themen waren: Die Höhle als Urwohnstätte der Menschen, die Geister in der Höhle, die Erde als Gebär-Mutter allen Lebens und der Kreis von Sterben, Zeugung aus dem Geiste - Wiedergeburt aus dem Erdenschoss.

Drei Tage und zwei Nächte arbeiteten wir in einer Höhle, in welcher vor 40'000 Jahren Urmenschen gewohnt hatten. Wir hatten dort Gelegenheit, eigene Grenzen auszuloten, Aengste loszulassen und uns hinzugeben an die Spirits und an unsere Ernährerin, die Erdenmutter. Nicht mehr der warme, gemütliche Seminarraum, sondern eine feuchte und kalte Höhle im Gebirge war nun unser Arbeits- und Wohnraum.

  

Mit Methoden aus verschiedenen schamanischen Kulturen arbeiteten wir uns in die Thematik vor und gaben uns den Kräften der Erde hin um zu vergehen und wiedergeboren zu werden.
Da jede Beschreibung eines Seminars immer subjektiv bleiben wird, folgt hier ein Elebnisbericht, der einen Eindruck der Erlebnismöglichkeiten dieses Seminars in beiden Realitäten zu geben vermag.
"Draussen hüllt sich der Berg in nieseligen Nebel. Drinnen in der Höhle ist es kalt und teilweise schlammig und nass. Mein Höhlenverbündeter hat mir Kraft und Schutz versprochen – ich hätte nach Wärme fragen sollen.

Mein Gott, wie überleb ich das ?"

  

Hinein

Vorbereitend auf unsere Reise ins Sterben und Wiederauferstehen machen wir das Ritual des Steinreibens. Wir sitzen alle vor einem flachen grossen Stein und reiben mit einem kleineren kreisförmig darauf. Eine Stunde soll das nun so weitergehen. Schon nach kurzer Zeit schläft mein Bein ein und mein Rücken schmerzt. Danach will mir mein rechter Arm seinen Dienst an dieser monotonen und anstrengenden Arbeit versagen.
Ich sehe ein, dass ich da nur durchkomme, wenn ich alles loslasse, wenn ich mich ganz hingebe und Arm, Rücken und Bein halt "verliere".

Das Geräusch der vielen geriebenen Steine in der Höhle wird zu einem Klangmeer, das mich mitreisst. Ein Lied steigt auf und zu den Steingeräuschen gesellen sich viele weitere Lieder.
Neben mir erhebt sich ein Gesang der mich mitnimmt in meine Vergangenheit - die Stimme meiner rehäugigen Schönheit. Und ich erlebe wieder, wie der Rest unseres Stammes beisammensitzt, alle Herzen gezeichnet von zu vielen Verlusten - wissend, dass man uns vom Land unserer Ahnen vertreiben wird ...

Ich kann nicht mehr reiben, tief aus mir dringt es hervor, durchbricht alte Barrikaden und ergiesst sich in diese Welt. Bluten und loslassen - und abschliessen mit einem tiefen Atemzug.

Sterben

Ein schlammiger, steiniger Weg führt uns tiefer in die Höhle hinein, tief ins feuchte Schwarz dieser steinernen Gebärmutter. Da sitze ich nun in der eisigen Stille, zitternd mit kalten Füssen in nassen Schuhen...
Gemächlich und lautlos wälzt sich aus den Tiefen des Höhlenschlundes ein riesiger Höhlenbär heran und bleibt vor mir stehen. Die Grösse, Würde und Ruhe eines Gebirges ausstrahlend mustert er mich. Klein und zitternd sitze ich vor dem Bären und plötzlich reisst er mir mit grauenhaften Prankenhieben die Eingeweide heraus. Schmerz bäumt sich auf und ich kann mich nicht bewegen.
Kalte Leere breitet sich in mir aus und da erscheint eine grosse Bärin. Sie schliesst mit samtener Pranke meine Wunde und umarmt mich. In der warmen Geborgenheit weichen Felles füllt ihre süsse Milch meine innere Leere.
Doch da verlässt mich meine Lebensspenderin schon wieder und Sehnsucht zerreist mein Herz.

Neugeboren

Später irre ich erfüllt von warmer Lebensmilch - und doch irgendwie innerlich leer draussen durch die Nebelgeister der Gebirgslandschaft. Der Pein folgt Gelassenheit und die innere Leere bietet Raum für mein nächstes Leben.

Wieder im Kreis mit den Anderen vereint, steigen Lieder auf und bringen Licht und Freude.
Wärme und neue Kraft durchdringen mich und um mich beginnt die Welt in frischen, neuen Farben zu leuchten. Mein Höhlenverbündeter sagt: "Du hast Altes zurückgelassen und Neues gefunden. Du bist immer noch du, doch du bist nicht mehr derselbe wie vorher – willkommen!"

Hinaus

Am Morgen danach erwache ich nach einer Nacht, wo mich die Kälte weniger geplagt hat, als in der Nacht zuvor.
Die Höhle strahlt Geborgenheit aus und ich empfinde eine tiefe Verbundenheit mit meinen Mitmenschen, welche ringsum in ihren Schlafsäcken schlafen. Es ist etwas Uraltes, ein Gefühl welches schwer zu beschreiben ist. Es ist genau dieses Gefühl, das uns heute in unserer modernen Welt so fehlt. Wir bedürfen einander nicht mehr, um warm zu haben, wir haben keine Feinde mehr und so machen wir uns gegenseitig zu Feinden...


Bär // 1998 (Beitrag in der KREISZEIT)