Meine Erinnerungen an das erste Jahr SL

Sonntag, 17. Februar 2008 /// Barlok wird iährig ...

liebe Freundinnen und Freunde

genau heute vor einem Jahr hab ich Second Life entdeckt.

Für jene von Euch, die gerne lesen, schreib ich hier mal auf was in meinem seltsam selektiv erinnernden Hirn noch geblieben ist von dieser Zeit, also ne Art "Jahres‑Memoiren" *g*.

Da in SL eine andere Zeitqualität herrscht als in RL erinnere ich mich nicht mehr so genau an alles. Jedenfalls war ich fassungslos ob der Möglichkeiten von SL. Bald stand ich jedoch "im Schilf": alles in Englisch!
Doch dann fand ich die deutschsprachigen Gebiete, allen voran die drei Sims von Arktis: Apfelland, Apfelland‑Stadt und Apfelland‑Strand. Dort machte ich meine eigentlich ersten, staunenden Schritte in dieser neuen Welt.

Das zweite, was sich bei mir unvergesslich eingebrannt hat, war die Hilfsbereitschaft der Leute. Noch "geschädigt" aus RL traute ich mich zu Beginn ja nicht richtig, einfach mal jemanden anzuquatschen
Doch dann fand ich in Apfelland–Strand den kleinen Second‑Hand‑Shop von Yalia McMillan. Dort fand ich sagenhafte Sachen für nur einen Linden$. Ich kaufte mir Flügel und sonst allerhand unnützes Zeug.
Und Yalia war immer mit einem guten Rat zur Stelle, wenn ich nicht weiterwusste.

So gesehen, war Yalia in SL eigentlich fast ne Art Mutter für mich (auch wenn das jetzt komisch klingt). Schnell ergaben sich dort dann auch "Brüder" und 'Schwestern". Da war vor allem Daniel, der dort einen Club hatte und auch sehr nett und umtriebig war. Der wollte ne eigene Sim kaufen, wo ich dann auch günstig eigenes Land mieten könnte. Ich freute mich darauf.

Doch dann mochte ich es nicht erwarten und mietete erstmal 1'000 m2 bei Arktis auf der eben neu entstandenen Sim Apfelland-Siedlung, gleich neben Apfelland-Strand. Auch dort wurde ich von den Admins von Arktis, allen voran Arik McAlpin vorbildlich unterstützt .
Ich begann also zu bauen ... wollte was Modernes machen, eine Galerie vielleicht?

Ich hatte mich vorher ja bereits in den Sandboxen schon ein wenig mit den Konstruktionswerkzeugen vertraut gemacht und für mich war das Bauen und Konstruieren, also eigentlich das Schöpferische in SL, ganz klar das Interessanteste.
Tja, bald hatte ich meine Galerie, hängte ein paar Bilder meiner RL‑Kunst hinein und übte und bastelte weiter an gescripteten Dingen wie Türen, Besucherzähler, Teleporter, etc

Dann kam die Sim von Daniel, die Sternschnuppe, und ich mietete mir dort ne schöne grosse Ecke. Auf jenen 3000 m2 habe ich in diesem vergangen Jahr vieles ausprobiert. Zuerst war es Bauplatz und Forschungsstelle, bis ich diese in die Wolken verlegte, um das Gesicht der Sim nicht zu beeinträchtigen. Ich baute mir Wohnhäuser, richtete die schön ein und wohnte keine Stunde in den Dingern. Was denn? Wohnen in SL - also zuhause vor dem Monitor dem Avatar zusehen, wie er in einer Welt der Bits und Bytes dahockt? Ach nö. Da begriff ich, dass Second Life KEIN exaktes Abbild vom Real Life ist und es dort, wo RL abgebildet wird, meist aus psychologischen Gründen geschieht, um dem Besucher ein vertrautes Ambiente zu geben. Ich begann mich intensiver damit auseinander­zusetzen, was SL denn eigentlich bieten kann. Wo sind die Vorteile, die Möglichkeiten gegenüber RL?
Und es fanden sich einige nicht zu unterschätzende!

Mit der Zeit perfektionierte ich die Qualität meiner Produkte bis an die Grenzen des SL‑möglichen. Meine Kunst‑Galerien mit Bildern meiner Werke aus RL begleiten mich bis heute ohne wirklich was bewegt zu haben. Meine Intention war es, auch in SL Orignale zu verkaufen. Also jedes Bild gibt es in SL nur einmal. Doch dafür gab es absolut keinen Bedarf. SL ist eine billige und beliebig kopierbare Welt. Dort macht das Einzigarteige keinen Sinn, wird nicht als solches wahrgenommen
Das war eine sehr gute (wenn auch etwas traurig stimmende) Lektion. Die hat mir auch gezeigt, dass meine früheren Hoffnungen auf ein SL als Business‑Instrument inbezug auf Kommunikation zukunftslos sind.
Heute sehe ich es so: Second Life ist für den Business-Bereich zu verspielt, zu wenig stabil und zu kitschig. Nichts desto trotz ist es für Firmen interessant. Mit Second Life lassen sich, wie mit keinem andern Medium, die Kommuni­kations- und Präsentationstechnologien der Zukunft erforschen. Ich bin mir sicher, dass in nicht allzu ferner Zukunft Internet und virtuelle Erlebnissräume zum Medium der Zukunft zusammenwachsen werden.

Heute konzentriere ich mich vor allem auf Konzeption, Planung und Konstruktion von Gegenständen, Gebäuden oder ganzen Sims.
Und wenn ich mich hier nun vor allem auf das Äussere, das Funktionelle von SL bezogen habe, noch ein paar Worte zu etwas Flüchtigem und dadurch auch sehr wertvollem: Beziehungen und Kommunikation.
Wie ich eingangs schon erwähnte, ist eine grosse Qualität von SL die Hilfsbereitschaft und die Offenheit. Da die Physik dieser virtuellen Welt so beschaffen ist, dass für den Avatar und dadurch natürlich für den dahinter stehen­den Menschen absolut keine Gefahr inbezug auf Leib und Leben besteht, ergibt sich hier natürlich ein völlig anderes psychologisches Verhaltensprofil als in RL.

In RL wird das zwischenmenschliche Verhalten unbewusst durch Angst kontrolliert. Wenn dies auch ein archaischer Urtrieb ist, so haben wir ihn dennoch nicht überwunden. Ich behaupte, dass fast alle Aggressionen und destruktiven Handlungen letztlich ebenso aus Angst erwachsen. Wenn wir diese Angst also streichen, dann entsteht ein neues Verhaltensmuster, welches auch beim Gegenüber empfunden wird und Vertrauen auslöst.
Der Avatar in seiner virtuellen (künstlichen) Umgebung steht zwischen den Menschen und diese können somit ohne jede Vorsicht völlig offen aufeinander zugehen. Das erzeugt eine entspannte Stimmung und bietet für die Kommunikation auch neue Möglichkeiten.

Klar, dass sich in SL auch engere Freundschaftsbande bilden und es wird gar geheiratet (und geschieden). Inwieweit diese virtuellen Freundschaften auf Kosten realer RL‑Gesellschaft geht und damit, theoretisch, zu einer gewissen Vereinsamung führen könnte, wäre ein interessantes Untersuchungsfeld, das sich bestimmt mal jemand vornehmen wird.
Ich weiss aber von einigen Menschen, die in RL derart behindert sind, dass ihnen "normale" gesellschaftliche Anlässe nur unter grossen Mühen und Aufwendungen möglich sind. Diesen Menschen bietet SL doch viele Möglichkeiten, einer Vereinsamung zu entgehen.

Second Life hat natürlich auch Schattenseiten. Auch ich habe erfahren müssen, dass es schon sehr archaisch­-rechtsfreie Situationen geben kann. Wenn eine Sim den Eigner wechselt und der neue die bisherigen Mitglieder (wo einige für eine lange Zeit vorausbezahlt haben) einfach rausschmeisst, dann hat man praktisch keine Möglich­keiten, zu seinem Recht zu kommen. Dies geschah mit der zweiten Sim von Daniel Lisle, als er diese einem "geschäftstüchtigen" Menschen weiterverkaufte. Mein "Freund" Daniel zog sich plötzlich zurück und wollte von seiner Verantwortung mir gegenüber nichts mehr wissen.
Ich habe den Vorfall, den ich erlebt habe, möglichst genau protokolliert (ging für mich ja um immerhin etwa 100 Euro) und dann an die Firma Anshe Chung (welche diese Sims an die Owner vermietet) weitergeleitet. Von dort kam die lakonische Antwort eines "Engels" (ja klar): "Ist doch nicht so schlimm"...
Ich habe in dem Jahr sehr viele derartige Erlebnisse von andern gehört.
Nun, solches nimmt man am besten mit Humor und versucht, nicht zuviel Geld in dieses letztlich so wakelige Universum zu binden.

Es gibt noch immer nichts mit SL Vergleichbares und auch wenn ich fast täglich über die hackelige Qualität und die mangelnde Stabilität (trotz - oder wegen? -dieser praktisch wöchentlichen Riesenupdates des Viewers) wettere, ist es doch ein wunderbares Medium.

Ich danke allen, die mich in diesem Jahr eine zeitlang begleitet haben. Ich wünsche euch weiterhin das Kribbeln, das einem befällt, wenn man eine neue Idee hat, oder wenn man was Neues entdeckt.

Linden Labs hat bloss die Erde herangekarrt - gute Erde.
Lasst uns nun weiterhin säen und pflanzen,
lasst uns diesen Garten weiter bestellen mit immer neuen Ideen, damit er von der Erde in den Himmel wächst und unsere Seelen nährt.

Barlok Barbosa 17. Februar 2008